V A S I N A R
„Gefäss der Erinnerung“
1992-2001
ca. 600 A4/A3 Blätter
Mischtechnik
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VASINAR(R) verweist auf eine Traumfigur. Ein unfassbares Wesen - Mensch/NichtMensch,
jung/alt, Mann/Frau, lebendig/tot, materiell/immateriell… nichts von dem,
Form des Formlosen; kurz es geht um Unfassbares, Unmögliches; glitschig
wie ein Fisch und unbegreiflich zum Verzweifeln, angesiedelt in einer Grauzone,
an einem Unort; einzig begleitet von einem zwar edeln aber jämmerlichen,
das Gesicht zernarbten Hund.
2
Und da taucht das Jünglingsgesicht auf. Ein Bild als Auslöser: das
Bild des Kindergartenfotografen mit diesem beschämt lächelnden Jungen.
Eine eigene Kindheitserinnerung: Der sechsjährige Knabe steht am Zaun des
elterlichen Hauses und schaut zwischen den Stäben hinunter in das dunkle
Loch der Kanalisation. Ich gehe an diesen Punkt zurück, an dem - für
mich heute - ein Ich im Bewusstsein, in der Erinnerung auftaucht und versuche
von da aus in allen Richtungen die Bedingungen dieser Wahrnehmung zu rekonstruieren.
Das heisst vor allem die jetzige Wahrnehmung kritisch zu hinterfragen. Erinnerungsstoff
ist immer Gegenwartsstoff.
3
VASINAR ist der Versuch einer bildnerische Forschungsarbeit über die Konditionen
der Wahrnehmung und des Selbstbildes.
VASINAR ist somit offensichtlich ein auswegsloses Unterfangen, ein hoffnungsloses
Unterfangen und zum Scheitern verurteilt.
4
Mit Vasinar beginnt das systematische Suchen und ordnen von Fremd-Bild-Material.
Vorab aus Printmedien entstehen Kategorien: Männer ganz, Männer Gesicht,
Frauen ganz, Frauen Gesicht, Paare, Kinder Embryos, Erwachsene Kinder, Familie,
Gesicht, Sieger, Tiere.
Die Fremdbilder werden in die umfangreichen Hängungen («Wäscheleinen
im Raum») integriert.
5
Gleichzeitig werden auf den Rückseiten der Vasinar-Blätter Notizen
gemacht. Abschriften der begonnenen FF (Falsche Fährten Sammlung) und ein-
und zufallende Gedanken.
6
Sobald das Gesicht erscheint wird es uninteressant.
Es ist das Bild das ich mir mache, das ich mir gemacht habe, das mir gemacht
worden ist. Gefangen in diesem Bild. Es kann also nur gut sein, wenn es endlich
verschwindet, sich digital verflüchtigt: genug festgehalten, abgebildet!
Kommt mir ja nicht wieder mit diesem Bild!! Ich hab es durchgeknetet, ummodelliert
und doch stets wieder dasselbe gesucht.
7
Dieses zarte Blau/Grau, dieses Schwebende, nicht Fassbare - dies ist es, was
mich erfreut. Es ist das Grau der grauen Blätter, die letztendlich in der
„MistTänzer“-Serie als Produkt des (alchemistischen) Prozesses
aus der Transformation der Mistschichten resultierte; es sind die zarten grau-gelbe
Töne der Harntafeln, die hier neu im Blauton erscheinen.
8
Da kommt ein Schnitt bei alledem ganz recht. Ein Schnitt durchs Blatt , ein
Schnitt durchs Gesicht. Ein Schnitt, der zur klaren Linie wird. ( Ist es der
Schnitt in den Schirm von H.D.Lawrence, den Schirms, den die Menschen zu ihrem
Schutz über sich aufspannen und in den die Künstler Löcher und
Schlitze schneiden, um einen «Luftzug vom Chaos her» einzulassen?)
Ein Strich. Das Bauvorhaben kann beginnen. Was ist die Linie, wo die Spur? Konstruktionen
bauen sich auf, Scheuklappen am Ende der Ohren, diese konstruierten Köpfe
und Masken haben sich längst zu Gitter-, Käfig- und Netzstrukturen
ausgewachsen; sind zu ganzen Gebäuden mutiert: Elterhäuser, Volieren,
Fallen, Theatergebäude, Museen, Kasernen und Knäste, mathematische
und chemische Formeln, abstrakte Muster möglicher Weltzusammenhänge...
Es sind Untersuchung der „Schnittstellen“ und Knotenpunkten, grossräumige
Netzuntersuchungen, in der Schichtung und Wirkungsmöglichkeit der bestehenden
und entstehende Räumen.
9
Sind wir ein Knoten in einem endlosen wogenden Geflecht? Was sind die Fäden,
die im Moment zusammenkommen? Gibt es einen Kern oder löst sich alles auf?
Welchen Einfluss hat dieser Gedanke von V.Flusser auf die Installation, auf
die Hängung im Raum?
10
Navigatorische Handhabungen stehen über den vordergründigen Abbildabsichten:
Die Gesichter sind als Einzelblatt, aber auch als Blattstapel oder Blattberg
eine einzige Fahrt durch Schichten; gedacht - im alten Sinn- als geologisches
Abtragen und Ablagerung. Abbau resp. Aufbau von Schicht zu Schicht. Ein Bohren
in die Tiefe des Gesteins oder an der Wand gedacht ein Morphing in die virtuelle
Tiefe, ähnlich einer Autorennfahrt der Computerspiele. Daher ist das Blättern
der Arbeiten, das Umschichten oder die Form des Buches sicher eine mögliche
Rezeptionsform.
Das Entfalten oder Auslegen der Blätter entspricht einer neuen Interpretationsform,
die nicht dieses geschichtete oder geschichtliche betont, sondern mehr auf eine
oberflächliche Morphologie deutet.
Der Faltenwurf eröffnet neue Perspektiven und Erkenntnisse, und gerade
dies erweist sich für mich als zentrale Strategie. Beide Bewegungen sind
mir wichtig und schliessen sich nicht aus.
Ich werde also weiterhin am Orientierungslauf teilnehmen.
DIA 5 SEK.
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00:58min; 320x240px; 1505kb
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