"...endlich komm ich in den Zwitscherraum"
ab 2000 bis heute
Pinselzeichnungen (Ölfarbe) auf Plotterpapier (mpa/J30S)
div. Formate, z.Z. ca. 300 Nummern
dazu Frembilder (FBP_FremdBildPrint/ FBD_FremdBildDigital/ FBN_FremdBildNetz)
Körper, in andere Gestalten
verändert, will ich besingen
Ovid
"...endlich komm ich in den Zwitscherraum" sind Fragmente einer zeichnerischen Denkbewegung. Es ist der «Bau» kleiner Gedankeneinheiten, der sich zu Netzwerken, Käfigstrukturen, Schaukasten mit eingesperrten Exoten auswächst; ein Konstrukt exemplarischer, aktueller Grundsituationen.
Bruchstücke; Fragment vielleicht in einem romantischen Sinne, als Ausdruck des unendlichen, lebendigen Geistes , der in keine vollendete Form eingeschlossen werden kann. Zusammengetragene Fetzen oder Reste, Astwerke eines (philosophischen) Baumes oder eines wuchernden Rhizoms.
Ein erster «Zwitscher-Raum» entsteht 1998 im Kunstraum in Burgdorf (CH). Eine Vielzahl schwarzer Vogelaquarelle verwandeln den kleinen Raum der Galerie in eine Voliere. Zwischen den Vogelaquarellen hängen Zeitungsausschnitte, Printfotos (z.B. Häftlinge in einem Gefängnis in Freetown, Prostitutierte in einem Bordell in Bombay, Grossandrang von Medienleute vor dem japanischen Wahllokal, Texte über Qualitätskontrollen am Vogelnest oder über Hobby-Vogelzüchter: «Wenn der kleine Mann Leben schafft» usw. siehe FB_FremdBilder)
Ganz zu Beginn der Vogelserie steht genau genommen 1999 eine russische Studentin vor unserer Haustür und bietet eine Auswahl von handbemalten Broschen aus ihrem Land an: Mit dem Verkauf finanziert sie ihr Studium. Ich kaufe ihr für meine Frau Sarah ein schönes Exemplar ab. Ein wunderbarer Vogel ziert das ovale Holz. Er ist Ausgangspunkt erster Zeichnungen.
Wie bei all meinen Zeichenzyklen erstreckt sich der zeichnerische Prozess über mehrere Jahre.
Am Sachverhalt der Vögel, des Zwitscherraumes und der Käfigstrukturen interessiert mich zu Beginn der Beziehungs- und Kommunikationsaspekt und die Nichtsichtbarkeit dieser Tiere: Vögel in Freiheit sieht man (fast) nicht, ebenso die Netze, die Strukturen und Beziehungen die uns Menschen zu Menschen, Menschen zu Tieren und Menschen zu Dingen und Apparaten verbindet nicht. Es ist das Thema der Absenz, der Ab- und Anwesenheit, der (Un-) Sichtbarkeit, das Thema der (Un-) Möglichkeiten der Darstellbarkeit, das mich bewegt. Der naive Glaube die Dinge, die Sachverhalte (dennoch) festhalten zu können, unter Kontrolle zu bringen, Ordnung zu schaffen - und gleichzeitig die Einsicht in die Unmöglichkeit des Unterfangens, ja die Notwendigkeit der Differenz, die Notwendigkeit wieder "Chaos" einzubringen, um Lebendigkeit zu gewährleisten, führt zu dieser seltsamen Ambivalenz, die meine gesamte künstlerische Arbeit durchzieht. In dieser Ambivalenz bewegt sich auch die zeichnerische Denkbewegung und sie versucht Zwischenräume zu schaffen, Risse zu produzieren, Verschiebungen herzustellen, Irritationen zu erzeugen: Ich mache etwas um etwas anderes zu bewirken, etwas Anderem Präsenz zu verschaffen - frei wie ein Vogel.
Ich bin hier... und es gibt nichts zu sagen. ...
...
...Was wir brauchen... ist Stille...; ... aber was
die Stille will ... ist, dass ich weiterrede.
...
Aber nun... gibt es Stille... und die Wörter...
erzeugen sie, ... helfen mit...
diese Stille zu erzeugen.
Aus VORTRAG UEBER NICHTS, John Cage
Eine eindeutige Zeichenhaftigkeit zeigt sich; es sind Zeichnungen, Zeichen, grobe Spuren und nicht die Zartheit der Vögel selbst. Es ist die Freude an der Markierung mit dem Pinsel und der Oelfarbe; es ist die Freude an der Linienführung und Verführung, an der Verselbständigung und Autonomie der Linie; es ist die Freude und die Ueberraschung wo sie mich hinführt.
Der Vogel ... ist im Ganzen eigentlich ein Kopf...
Die Vögel denken nicht.
Wir denken, weil wir nicht fliegen können.
Unsere Gedanken sind eigentlich
die umgewandelten Flugkräfte...
FF427, Steiner Rudolf, Die Welt der Vögel
Systeme erhalten und organisieren sich durch Strukturen. Die Verhältnisse der Tiere zu ihrem Käfig und Nest rücken in den Vordergrund. Das Vogelhäuschen als Ort des Schutzes und der Geborgenheit, die Voliere und der Käfig als Gefängnis und Domestizierungsort der Tiere.; Gefangen im Netz, im System, im Muster. Analogien zu unseren menschlichen Situationen der totalen Vernetzung, der Verschmelzung mit der Technik, der (totalen) Verbundenheit und Erreichbarkeit: Eingeschlossen - angeschlosssen / gebunden - verbunden. Wie weit trägt (fliegt) der Vogel seinen Käfig mit sich? Ist der Vogel im Käfig? Ist der Käfig im Vogel? Was heisst Freiheit?
Die Frage ob Vögel Waffen benutzen hatte mich schon früher beschäftigt: Tarnkappenflieger und Darwins Finken locken mich, und auch die Raben sind nicht weit. Es entstehen die ersten grossen farbigen Oel- Zeichnungen auf Plotterpapier (138x220cm). Dabei ist mir wichtig ganz bewusst mit Zwischenräumen zu arbeiten, Leerstellen offen zu halten, damit dem Betrachter stets auch die Möglichkeit des Ausblicks bewahrt bleibt, damit "Stille" einkehrt. Der Rand rückt damit ins Zentrum der bildnerischen Arbeit.
Der Raum-Kontext wird zu einem zentralen Aspekt: Die Zeichnungen schaffen einen realen Raum, in den sich der Betrachter begibt. Dieser wird Bestandteil einer Installation, d.h. er tritt selber in eine Volierensituation ein und bewegt sich darin. Es ist nicht nur eine Ausstellung, eine Präsentation von einzelnen Werken, eine Kombination von einzelnen Zeichnungen, sondern ebenso sehr eine dem Raum eingeschriebene Denkfigur, durch die sich der Hereintretende mit seiner ganzen Person begibt.
Lieber den Flug des Vogels, der vorüberzieht
und keine Spur hinterlässt, als den Zug des Tieres,
der sich nutzlos dem Boden einprägt....
Zieh vorüber, Vogel, vorüber
und lehr mich vorüberziehen!
Fernando Pessoa
Im speziellen spiegelt die Installation auch die Künstlersituation: Der Künstler als komischer Vogel:
Der Künstler ist ein Schausteller, einer der ausstellt. Er ist aber auch ein Ausgestellter, ein eingesperrter Exot im gesellschaftlichen Käfig, Clown in der Manege, den das Publikum bei seinen Aktivitäten mit Faszination betrachtet, bewundert oder anfeindet. Nur dass dieses Publikum jetzt auch mitten drin steckt, im Getümmel eines riesenhaften Gezwitschers und Spektakels...
"L amour est un oiseau rebelle"
aus "Carmen" Georges Bizet/Text Prosper Mérimée
Zu den Vogelzeichnungen und Käfigstrukturen gehören auch die Zeichnungen der Vogelhäuschen.
Die Vogelhäuschen-Serie hängt mit der Frage nach " gefangen oder geborgen?" zusammen, und ist also in unmittelbarem Kontext zu den Netzstrukturen und Volierensituation zu sehen. Netz- und Neststrukturen. Mir sind die Farben dieser Nistkasten klar (das erste mal eine ganz eindeutige Farbwahl von mir) und auch die Standorte dieser Gebilde: Am Rande der Blätter sollen die Kasten hangen; klare Orientierung (oben, unten, links, recht / O,E,S,W), klare Orientierung- und Navigationshilfen und dazwischen der weite ZwitscherRaum. Diese biederen Farben und Formen stellen die Frage nach Konvention, Tradition, und deren Bedeutung
Es sind farbige Öl-Zeichnungen, dicke Striche aneinandergereiht. Das Medium der Zeichnung selbst wird zum Thema, das Kippmoment zur Malerei wird sichtbar und überrascht mich. Ich weiss, dass solche Momente der Grenze kostbar sind.
Man darf dem Vogel
nicht ganz die Kehle
zuschnüren, sonst kann er nicht singen.
Heinrich Heine
Im z.Z. letzten Schritt erscheinen Aufnahme- und Wiedergabegeräte (TV, Flachbildschirme, Laptops, Scanner, Kameras, HDs, Ueberwachungskameras..).Kasten und Kästchen reihen sich aneinander, türmen sich auf. Was sind die Elemente und Notwendigkeiten unserer heutigen Systeme? Wie zeigen sie sich, was steckt dahinter? Die medialen Fragen, die mich stets umtreiben erscheint in einfachster, banaler Weise: Was ist eine Zeichnung? Was hinterlässt eine Spur? Wo sind die Grenzen zur Malerei? Die Aktualität der "Neuen Medien". Was ist überhaupt ein Medium?
Wenn der Vogel tot ist,
muss der Käfig nicht mehr
geschlossen werden.
bilder I
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bilder II
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